F. Duceppe-Lamarre u.a. (Hrsg.): Umwelt und Herrschaft in der Geschichte

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Titel
Umwelt und Herrschaft in der Geschichte. Environnement et pouvoir: une approche historique.


Herausgeber
Duceppe-Lamarre, François; Jens Ivo Engels
Reihe
Ateliers des Deutschen Historischen Instituts Paris 2
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
142 S.
Preis
URL
von
Raphael Fischer, Historisches Seminar, Universität Luzern

Der zu besprechende Sammelband ist das Ergebnis eines Ateliers des Deutschen Historischen Instituts in Paris, das am 12. Juni 2006 von den beiden Herausgebern organisiert wurde. Geladen waren sowohl französische als auch deutsche Referenten. Die Einleitung und fünf Beiträge im Sammelband sind in französischer Sprache, vier weitere in deutscher Sprache geschrieben. Duceppe-Lamarre und Engels setzen sich dafür ein, dass dem Thema Umwelt und Herrschaft in der Historiographie mehr Beachtung geschenkt wird. Denn die Beziehungen zwischen den natürlichen Gegebenheiten und den sozialen Herrschaftsverhältnissen eröffnen oft einen direkten Zugang zu den fundamentalen Strukturen einer Gesellschaft. Konflikte um die Kontrolle oder Verteilung natürlicher Ressourcen sind schliesslich nicht selten in der Form von Machtkonflikten ausgetragen und aktenkundig geworden.

Jeden materiellen Determinismus, etwa in der Art, dass die natürliche Umwelt den Lauf der Geschichte bestimme, lehnen die Herausgeber ab. Im Wesen der dynamischen Beziehung von Umwelt und Herrschaft liege es vielmehr, dass einerseits Umwelteinflüsse die Machtverhältnisse stabilisieren oder gefährden können, anderseits aber die Herrschaftsstrukturen einer Gesellschaft auch entscheidenden Einfluss auf die Landschaft und Natur haben.

Duceppe-Lamarre und Engels sehen vier sich überschneidende Formen der generellen Beziehung zwischen Umwelt und Herrschaft, die gleichzeitig vier Untersuchungsdimensionen eröffnen. Erstens sei hinsichtlich der Beherrschung der Umwelt durch den Menschen etwa zu untersuchen, wie stark Gesellschaften die natürlichen Gegebenheiten manipuliert haben, wie Umwelt und Natur wahr genommen wurden, ob Tiere nur als Nutzmittel oder auch als Wesen angesehen wurden, wie die sozialen Beziehungen unter den Menschen mit dem Zugang zu natürlichen Ressourcen verknüpft waren und welche natürliche Gegebenheiten zu welchen sozialen Institutionen Anlass gegeben hatten. Interessant sei in diesem Zusammenhang besonders, ob und inwiefern Herrschaftsstrukturen durch allfällige Veränderungen der Umwelt stabilisiert oder geschwächt wurden.

Zweitens stellten die Umweltbedingungen besonders in vormodernen Gesellschaften eine Restriktion der Machtausübung dar. Gebremst von den geographischen und natürlichen Gegebenheiten konnten manche Herrschaftsansprüche gar nicht durchgesetzt werden. Die totale Beherrschung der Natur durch den Menschen blieb lange Zeit nur eine Illusion. Umgekehrt konnten aber Umweltmanipulationen mitunter die Herrschaftsverhältnisse stark gefährden oder gar ruinieren. Zu untersuchen sei, welche Vorkehrungen dagegen getroffen wurden und wie Gesellschaften einen stabilen Zugang zu natürlichen Ressourcen zu gewährleisten versuchten. Drittens meinen die Herausgeber, dass die Umwelt für den Historiker die Rolle einer Offenbarung einnehmen könnte. Denn wo die Umwelt manipuliert und bearbeitet wird, trägt sie die Spuren der Gesellschaft, sind ihr soziale und politische Machtstrukturen eingeschrieben. Zu denken ist etwa daran, wie verschiedene Erbgesetze und Lehnsbeziehungen die alteuropäische Landschaft geformt haben. Möglicherweise sei die Enthüllung auch in der anderen Richtung möglich: Aus Kenntnissen über die Herrschaftspraktiken einer Gesellschaft könnten Vermutungen über den Zustand der dortigen Umwelt angestellt werden. Viertens dient die Umwelt auch oft als Argument der Machtausübung und Machterweiterung. Die Beherrschung der Natur konnte zum Beispiel die Beherrschung der Menschen bestätigen und verdoppeln. In diesem Zusammenhang wird in mehreren Beiträgen des Sammelbands immer wieder auf die Jagd hingewiesen, die als Privileg des Adels in vormoderner Zeit auch Herrschaft über Land und Leute symbolisierte.

Die Herausgeber verzichten bewusst auf eine genaue Definition der beiden Schlüsselbegriffe Umwelt und Herrschaft. Stattdessen plädieren sie für eine Vielzahl der Methoden und Blickwinkel. Und tatsächlich könnten die Beiträge der einzelnen Sozial- und Umwelthistoriker unterschiedlicher kaum sein.

Eröffnet wird der Reigen von Olivier Büchsenschütz, der ein gängiges Klischee demontiert: Im antiken Nord- und Osteuropa hätten keineswegs Barbaren in einer weitgehend unberührten Natur gelebt. Vielmehr hätten Ackerbau und intensive Viehzucht im Europa der Kupfer-, Bronze und Eisenzeit die alte Welt geprägt. Macht und sozialer Status seien schon damals durch materielle Objekte symbolisiert worden, etwa durch Waffen oder Schmuck. Gerrit Jasper Schenk begibt sich anschliessend auf die Suche nach der Umweltgeschichte in der deutschen Mediävistik – und findet nicht viel. Er argumentiert, vor allem methodologische Probleme sowie die Nazi-Tradition der «Siedlungsgeschichte» seien schuld an der bisherigen Randständigkeit des Themas für die deutschsprachigen Forscher. Doch konstatiert er zugleich, dass gerade an interdisziplinären Fragen vermehrt Interesse besteht. In seinem Beitrag über die Jagd beschreibt Co-Herausgeber François Duceppe-Lamarre die Jagd als grundherrschaftliche Praxis der Machtausübung über die Natur eine signifikante Rolle bei den Praktiken der Herrschaftsentfaltung gespielt habe. Die strenge hierarchische Struktur dieser Gesellschaften widerspiegelte sich etwa in den Rechten und Zugangsbeschränkungen der Jagd. Infrastrukturen interpretiert Dirk van Laak in seinem Referat als «zweite Natur» des Menschen, die den Zugang zu natürlichen Ressourcen erleichtert und die menschlichen Kapazitäten erhöht. Dass Infrastrukturen wie Verkehr, Kommunikation und Versorgung für die Machtausübung höchst relevant sind, darf als unbestritten gelten. In einem weiteren Beitrag untersucht Jérôme Buridant die Holzmangelkrise im Frankreich der Jahre 1750–1870. Der Holzmangel des 18. und 19. Jahrhunderts sei auf den wachsenden Konsum in den Städten und die sich entwickelnde Industrie zurückzuführen. Das Ausmass des Holzmangels sei durch den zeitgenössischen Expertendiskurs jedoch eher überschaÅNtzt worden. Laurence Lestel stellt sich ausgehend vom Paris des 19. Jahrhunderts die Frage, warum der städtische Raum bisher in der Umweltgeschichte keine wichtige Rolle gespielt hatte. Im Ökosystem Stadt, wo der Mensch am stärksten Einfluss auf die Umwelt nimmt, entblösse sich Macht und Ohnmacht von Herrschaftsträgern, die zugleich Verursacher und machtlose Zeugen von Umweltveränderungen sein können. Joachim Radkau legt im zweitletzten Beitrag eine sehr gelungene Analyse des Begriffs der Nachhaltigkeit vor. Abgeschlossen wird der Sammelband durch einen Essay von Robert Delort, der den Ursprung der westlichen Neigung zur gewalttätigen Beherrschung der Natur in den Besonderheiten der indoeuropäischen Sprachfamilie verortet. Sowohl die These wie auch die linguistische Argumentation haben den Rezensenten indes alles andere als überzeugt.

Nicht alle Beiträge im Sammelband sind gleich geglückt. Dem Ziel der Herausgeber, die Beziehungen zwischen Herrschaft und Umwelt auf systematische Weise zu untersuchen (S. 7), werden die wenigsten gerecht. Vielleicht ist dieser Anspruch aber ohnehin vermessen. Jedenfalls behandeln die besseren Essays des Sammelbandes anhand einer begrenzten Frage nur eine der vielen Facetten der Beziehung Umwelt–Herrschaft, so etwa in den sehr lesenswerten Beiträgen von Buridant und Lestel. Insbesondere in den deutschsprachigen Beiträgen wird dagegen mitunter viel zu monoton über Methodenprobleme nachgedacht, konkrete Beispiele dagegen kaum behandelt. Leicht störend wird mit der Zeit, dass alle Beiträge immer auf die Wichtigkeit des Themas und weiterer Forschung insistieren. Martin Knolls Diktum kann man dennoch zustimmen: «Es gibt noch viel zu tun» (S. 51). Zu hoffen ist, dass die kurzen Essays in dem Sammelband Anstoss geben zu intensiveren Auseinandersetzungen mit Fragen, die den engen Rahmen der sogenannten Umweltgeschichte sprengen und diese in produktiver Weise in die allgemeine Geschichtsschreibung einzubringen vermögen.

Zitierweise:
Raphael Fischer: Rezension zu: François Duceppe-Lamarre, Jens Ivo Engels (Hg.): Umwelt und Herrschaft in der Geschichte. Environnement et pouvoir: une approche historique. München, R. Oldenbourg Verlag, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 371-373.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 371-373.

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